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„Integration durch Identifikation“ – Seminarwochenende in Mecklenburg-Vorpommern

Am 20. und 21. November 2010 trafen sich Vertreter der JSDR-Landesgruppe Berlin und unsere Mitglieder aus Waren (Mecklenburg-Vorpommern) zu einem gemeinsamen Seminarwochenende zum Thema „Integration durch Identifikation“, bei dem es darum ging, Kooperationsmöglichkeiten der beiden Gruppen zu entwickeln.

Ausflug in die Vergangenheit

Das Wolhynier Umsiedlermuseum im mecklenburg-vorpommerischen Linstow war unser erstes Ziel. Das Museum zeigt sehr anschaulich, wie man es schafft, seinen geschichtlichen Ursprung zu bewahren. Eine originalgetreue Haus- und Hofanlage mit diversen Einrichtungsgegenständen, Fotografien, dem Modell eines Dorfes in Wolhynien und verschiedenen Ausweisen aus früherer Zeit ermöglichte einen sehr guten Einblick in die damaligen Lebensumstände. Es porträtiert die Geschichte der Wolhyniendeutschen und zeichnet ein einschneidendes Ereignis, die Umsiedlung, nach.

Darüber hinaus vermittelte das Museum eine interessante Erkenntnis: eine Wandstickerei mit christlichen Motiven, das Kreuz, die Bibel, Haushaltsgegenstände – alles Gegenstände, wie sie in jedem lokalen Heimatmuseum in Deutschland zu finden sind. Ein anschaulicheres Beispiel dafür, dass die Deutschen in Russland tatsächlich wie Deutsche gelebt haben, kann es kaum geben.

Es mag banal klingen: Es mit eigenen Augen zu sehen, wirkt stärker als jede noch so ausführliche Geschichtsstunde; gerade für die Jüngeren kann dadurch der Begriff „Russlanddeutsche“ veranschaulicht werden.

Zurück in der Gegenwart

Anschließend ging es im Seminarraum von Perspektive e.V. in Waren um Themen der Gegenwart. Das Seminar ,,Integration durch Identifikation“, das von Edwin Warkentin geleitet wurde, bot reichlich inhaltlichen Diskussionsstoff. Unterschiedliche Ansätze und Meinungen in der persönlichen Auslegung wurden oft dargelegt und kritisch hinterfragt:

  • Was bedeutet Integration?
  • Muss die eigene Identität aufgegeben werden, um vollkommen deutsch zu sein?
  • Oder reicht es, wenn man einfach nur gut genug deutsch spricht, sich aber weiterhin oder auch wieder Russe nennt?
  • Wie seht man sich selbst, warum sieht man sich so?
  • Und warum ist es überhaupt wichtig, das eigene Selbstverständnis ggf. zu überdenken und es ohne Missverständnisse nach außen zu transportieren?

Wer zum Beispiel als Deutscher aus Russland die übliche Eröffnungsfrage „Wo kommst du her?“ mit einem einfachen ,,aus Russland … aus Kasachstan … aus Ukraine … aus Kirgistan“ beantwortet, hat zwar die Wahrheit gesagt, aber nur die halbe. Die andere Hälfte müsste lauten:  „ … und ich bin Russlanddeutscher.“ Warum ist das überhaupt wichtig? Und wie kann mir diese Antwort helfen, mich in der neuen Heimat zu integrieren?

Mit einem intensiven und offenen Erfahrungsaustausch versuchten wir, diese schwierige Frage zu beantworten. Eine eindeutige Antwort gab es nicht, vielmehr kristallisierte sich die Erkenntnis heraus, dass wir alle eine gemeinsame Geschichte haben, und dass diese mit der Aussiedlung nach Deutschland nicht vorbei ist.

Außerdem ist es wichtig, Anknüpfungspunkte an die deutsche Gesellschaft zu finden. Dabei hilft einem auch die Frage: ,,Warum bin ich stolz, dass ich ein Deutscher bin?“ Diese Frage führt weiter zu der nächsten Frage, ob ich berechtigt bin, stolz auf Leistungen zu sein, die ich nicht selber erbracht habe. Eines ist jedoch klar: In Deutschland fühlen sich viele zu Hause. Sich in diesem Land wohl zu fühlen, sollte das Bestreben eines jeden Einzelnen sein, und kann nicht von außen übernommen werden.

Am zweiten Tag des Seminars ging es dann um die Ausarbeitung eines Programms der Zusammenarbeit. Die JSDR-Landesgruppe Berlin möchte die Kooperation mit den norddeutschen Landesgruppen erweitern; die Ausarbeitung des Programms mit den Mitgliedern aus Waren sollte die Grundlage bilden.

Bei den Überlegungen und anschließenden Ausarbeitungen kamen vielfältige Projektideen auf, die im Verlauf der nächsten Wochen fixiert werden.

Es war ein spannendes Seminarwochenende, das zeitgemäße Fragen  in offener Form aufwarf, die man für sich selber nicht beantworten kann. Im gegenseitigen Austausch wurden jedoch Antworten zutage gefördert, und es wurde Raum für inhaltlich starke Projekte geschaffen.

Vitalij Brodhauer